Muttertag in Frankreich
Der in den meisten Ländern der Welt begangene Muttertag geht auf den antiken Kult der Muttergöttinnen zurück. In Frankreich spielte im 18. Jahrhundert Napoleon I. als erster mit dem Gedanken, die Mütter einmal im Jahr zu ehren. Vielleicht um sich bei ihnen dafür zu bedanken, dass sie ihn unablässig mit Kanonenfutter versorgten? Aus dessen Erwägung wurde jedenfalls nichts. Wegen Waterloo … Ein Jahrhundert verging, bevor die Idee neu entdeckt wurde.
Am Anfang des 20. Jahrhunderts stand in Europa der Malthusianismus hoch im Kurs. Auch die französischen an der Spitze des Staates und/oder der Armee stehenden Herrschaften bedrückte die schwächelnde Geburtenrate. Vor diesem Hintergrund wurde am 16. Juni 1918 in Lyon der erste Muttertag gefeiert. 1929 wurde er offiziell sowie dessen Datum festgelegt: Seitdem findet er am letzten Maisonntag statt. Fällt Pfingsten auf diesen Tag, wird der Muttertag um eine Woche verschoben. Der kronende Abschluss dessen langwieriger Geschichte, die gesetzliche Verankerung, erfolgte 1950.
Der Muttertag wurde also nicht, wie oft gemeint wird, von Marschall Pétain ins Leben gerufen. Da der Chef des « État français », wie dessen vom nazideutschen Besatzer überwachte Amtszeit (1940-1944) heißt, aber « Travail, Famille, Patrie » (Arbeit, Familie, Vaterland) als Devise hatte, passte ihm der Muttertag sehr gut ins Konzept. Wie sehr dieser von der damaligen Regierung hochstilisiert wurde, beweist folgender Videobeitrag aus dem Jahr 1943.
Selbstverständlich wird auch der französische Muttertag mittlerweile zu kommerziellen Zwecken missbraucht. Dank dem mehr (siehe Foto oben, © Marie Rosticher) oder weniger einfallsreichen Einsatz der Vorschul- bzw. GrundschullehrerInnen hat er jedoch seine liebenswürdigste Facette beibehalten können. Jedes Jahr werden die berüchtigten Nudelketten gebastelt, die schönsten Bilder gemalt und die rührendsten Gedichte auswendig gelernt, um sich am großen Tag bei der herzallerliebsten Mama der Welt zu bedanken.