Über das Komma und solche Sachen
Folgender Satz aus dem letzten Interview von Frank-Walter Steinmeier mit der SZ (Ausgabe vom 27.1.17) besitzt meiner Ansicht nach das Zeug zum Zitat: »In der Interpunktion der Außenpolitik gibt es keinen Punkt, immer nur ein Komma.« Der Ex-Außenminister und angehende Bundespräsident meinte damit, dass es in der Diplomatie keine »abschließenden Lösungen« gebe.
Warum diese Aussage meine Aufmerksamkeit weckte, hängt weniger mit ihrer Bedeutung zusammen, als mit der Tatsache, dass das Komma in der Linkedin-Gruppe Du bon usage de la langue française*, der ich schon länger angehöre, gerade thematisiert wurde. Der daraus entstandenen Diskussion ist diese Kolumne zu verdanken.
Fakten
Das Komma heißt im Französischen virgule. Dieses Nomen stammt aus der lateinischen virgula („kleiner Strich“), einer Verkleinerungsform von virga, dem männlichen Glied. Warum ausgerechnet das Geschlechtsorgan des Mannes weiblich werden musste, wissen wohl nur die Götter der Etymologie. Zusätzliche Strafe zur Vertreibung aus dem Paradies etwa?
Als die Texte noch von Hand gesetzt wurden, bekam das schwer zu fassende filigrane Komma den poetischen Beinamen „Träne des Schriftsetzers“, machte es doch dessen Arbeitsleben noch schwerer als es eh schon war.
Das Komma und darüber hinaus die Interpunktion als Ganzes gelten im Französischen auch als respiration de la phrase („Atempause des Satzes“). Diese Bezeichnung rührt daher, dass die Atempausen in den Partituren der Blasinstrumente anscheinend durch Kommas wiedergegeben werden.
Freies Assoziieren
Virgule, respiration de la phrase… Weist die Tatsache, dass ich in meinen eigenen Schriften mit Kommas nicht gerade geize, vielleicht auf irgendwelche Atemschwierigkeiten hin? Die kühne These eines potentiellen kausalen Zusammenhangs zwischen Lungendysfunktion und Stil ist übrigens nicht von mir. In den 1940er Jahren inspirierte sie einen Arzt namens Georges Rivanne sogar zu einem Buch (Influence de l’asthme sur l’œuvre** de Marcel Proust). Der zeit seines Lebens unter schwerem Asthma leidende Autor von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ist nämlich durch seine nicht selten mehrere Seiten langen Sätze berühmt-berüchtigt. Im Französischunterricht wurde mir immer wieder davon abgeraten, nach seiner Fasson zu schreiben.
Was für einen Bogen habe ich denn da gespannt, indem ich meinen Gedanken einfach nur freien Lauf gelassen habe! Von der Interpunktion bis zur Medizin …
Das Würdigen des verkannten Kommas war aber längst überfällig, schließlich hat es sogar schon öfters Menschenleben gerettet. Aber ja! Stellen Sie sich das Horrorszenario vor, wenn im Satz Venez manger, les enfants ! (Kommt zum Essen Kinder!) das Komma vergessen wird. Venez manger les enfants ! heißt im Deutschen: »Kommt, wir essen die Kinder!«!
*Vom richtigen Gebrauch der französischen Sprache
**Auswirkungen seines Asthmas auf das Werk von Marcel Proust